Was tun gegen Altersarmut?

Mitte September war ich mit unserer Fraktionsvorsitzenden Anne Hübner (schaut mal bei ihr vorbei) zu Gast bei Lichtblick e.V. in Haidhausen. Wir haben unsere Antragsinitiative zu verdeckter Armut genutzt, um uns einen Einblick in die Arbeit von Lichtblick zu verschaffen. Der Kampf gegen Altersarmut muss leider immer größeren Raum einnehmen.

Grund dafür ist, dass in den letzten Jahren die Zahl der Rentner und Pensionäre, die in Deutschland als armutsgefährdet gelten, deutlich angestiegen ist. Im Jahr 2017 ist deren Zahl um 215.000 auf 3,2 Millionen Menschen angestiegen, wie die ARD berichtet.

Ich konnte erfahren, wie Lichtblick mit Hilfe von Spendenmitteln Senior*innen schnell und unbürokratisch in Notsituationen helfen. Wenn ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine kaputt gegangen ist, wenn der Geldbeutel leer ist und es nichts mehr zum essen gibt oder auch den vielen Dingen, die man im Alter braucht und die nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden: Sehhilfen, Gehhilfen, besondere Nahrungsmittel oder -Ergänzungsmittel und vieles mehr.

Die politischen Probleme, die dahinter stehen sind vielfältig. Das Hauptproblem ist die Rentenpolitik, auf dieses werde ich an anderer Stelle eingehen. Ein paar Lösungsansätze und auch kommunale Handlungsspielräume möchte ich hier aufzeigen:

1. Viele Senior*innen beantragen die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen nicht.

Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass bis zu zwei Drittel der Senior*innen mit Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII diese nicht wahrnehmen – ob aus Unkenntnis oder aus Scham. Besonders betroffen davon dürften Frauen sein. Ohnehin sind von Altersarmut vor allem Frauen betroffen – das wird immer wieder wissenschaftlich herausgearbeitet. Ein Phänomen dabei ist auch: Trotz der geringeren Renten beantragen Frauen seltener Grundsicherungsleistungen. Mit unserem Antrag fordern wir eine Feldstudie, die die Gründe und mögliche Handlungsoptionen in Erfahrung bringen soll. Es kann nicht sein, dass Senior*innen sich zwei Wochen lang nur von Kartoffeln ernähren, wie es Frau Staltner aus ihren Erfahrungen berichtet hat.

2. Der unzureichende Regelsatz.

Der Regelsatz für hilfebedürftige Senior*innen, deren Einkommen aus der Rente nicht zum Leben reicht, erhalten auf Antrag Hilfen nach dem SGB XII. Der bundesweit gültige Regelsatz von 432€ mtl. reicht in München niemals aus um das Essen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Von der Stadt München wird er als zusätzliche freiwillige Leistung um das gesetzlich maximal mögliche aufgestockt und beträgt in München momentan 453€ mtl. Das ist immer noch zu wenig. Es ist völlig realitätsfremd, wie man davon zum Beispiel Rücklagen für eine neue Waschmaschine bilden soll. Die Münchner SPD fordert seit langem die Berücksichtigung der Kaufkraftunterschiede, also regionalisierte Regelsätze. Ich setze mich auch die Ermöglichung von zusätzlichen Einmalhilfen ein und fordere eine generelle Erhöhung der Regelsätze auf den tatsächlichen Bedarf – das ist ein Geburtsfehler der Regelsatzstruktur, sowohl bei der Grundsicherung im Alter als auch bei der Grundsicherung generell.

3. Die Einschränkungen beim Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden immer mehr Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Versicherungen herausgenommen, vom Zahnersatz, Sonderbedarf in der Ernährung bis zu Gehhilfen. Gleichzeitig wurden Zug um Zug auch Eigenbeteiligungen erhöht oder eingeführt, als Krönung kam die inzwischen wieder abgeschaffte unsinnige und bürokratische Praxisgebühr. Ich halte das aus sozialpolitischer Sicht – gerade in einer immer älter werdenden Gesellschaft – für nicht tragbar. Die Gesundheitsversorgung muss eine Vollkasko-Versicherung sein, ist aus gutem Grund eine Pflichtversicherung und muss alle Risiken von Krankheiten abdecken. Ich setze mich dafür ein, dass wir auch einmalige Kostenübernahmen für benötigte Hilfsmittel einführen und ausweiten. Altersarmut darf nicht dazu führen, dass Hilfsmittel oder Geldmangel Zuzahlungen verunmöglicht. Wirklich besser wird das nur mit der Bürger*innenversicherung – und die wird nur mit einer progressiven Regierungsmehrheit jenseits von CDU/CSU Wirklichkeit.

4. Die Hürden in der Sozialverwaltung sind immer noch zu hoch

Wir haben in München die bundesweit vorbildlichen Sozialbürgerhäuser. Ich selbst durfte lange in den SBH’s arbeiten und schätze die regionalisierte, in den Stadtvierteln verankerte Sozialverwaltung, in der pädagogisches- und Verwaltungspersonal aus einer Hand alle sozialen Leistungen ob gesetzlich, freiwillig, beraterisch oder aus dem Leistungsbereich für Hilfesuchende anbietet. Gleichzeitig konnten Anne und ich bei Lichtblick auch sehen, was dort noch besser und zugänglicher ist: Es geht um die Entstehung einer Willkommenskultur. Während es in der Stadtverwaltung Vorgaben gibt, mit welcher Farbe Akten nummeriert werden müssen, sind Hilfestellungen für die Mitarbeiter*innen bei (oftmals heiklen) Gesprächen und dem Abbau von Machtunterschieden die Ausnahme. Bei Lichtblick wird zuerst ein Kaffee angeboten und eine Athmosphäre geschaffen, um über Probleme und Sorgen zu sprechen. Das ist in den SBH bislang zu wenig der Fall. Uns muss bewusst werden, dass Bürokratie nicht umsonst Schreibtischherrschaft heißt.

Die Sozialbürgerhäuser umzugestalten, den Aufenthalt dort attraktiver zu machen, mit Cafés, niedrigschwelliger Beratung in einfacher Sprache ohne Amtsschimmel, verbesserten Formularen und vor allem: Münchner*innen als Anspruchsberechtigte und nicht als Bittsteller*innen wahrnehmen. Dafür benötigen wir auch Fortbildungen für die Mitarbeiter*innen, die in einem schwierigen Umfeld und bei zunehmendem gesellschaftlichen Druck (Reichsbürger, Verschwörungstheorien, Entsolidarisierung…) mehr Handlungsoptionen und mehr Sicherheit brauchen. Und ein Bewusstsein für die Machtposition, die ihnen zukommt.

Es gibt viel zu tun, für Senior*innen und generell in der Armutsbekämpfung – dazu wird es von mir auch bald weitere politische Initiativen geben!


Weitere Informationen zu Lichtblick findet ihr hier: https://seniorenhilfe-lichtblick.de

Unsere Antragsinitiative zur Bekämpfung verdeckter Armut findet ihr hier: https://spd-rathausmuenchen.de/antraege/?id=540492

Und den Artikel aus der Süddeutschen Zeitung über unseren Besuch findet ihr hier: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-senioren-altersarmut-grundsicherung-1.5038219