Unsere Zukunft darf nicht zurückgelassen werden: Die sozialen Folgen der Corona-Pandemie

Sie haben mich nicht mehr losgelassen. Die vielen Berichte über die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Sie gehen unter die Haut. Egal ob soziologische oder psychologische Studien, egal ob Zeitungsberichte mit Einzelschicksalen, mit Klagen wegen geplatzter Sommerträumen oder Abifeiern oder harten und trockenen datenbasierten wissenschaftlichen Darstellungen. Letztlich ist es allen halbwegs klar, die ein bisschen Einfühlungsvermögen haben und mit offenen Augen durch die Stadt gehen: Gerade junge Menschen stehen bei den sozialen und psychischen negativen Folgen der Corona Pandemie weit vorne. Nicht nur die Angst selbst infiziert zu werden. Depressionen, Zukunftsängste, Essstörungen… es wird berichtet, dass gerade 7 bis 17-jährige für psychische Auffälligkeiten aufgrund der Lockdowns, der Schließungen von Schulen, Vereinssport, Freizeiteinrichtungen, usw. besonders anfällig seien. Als zusätzliche Risikofaktoren werden ein geringes Bildungsniveau und begrenzter Wohnraum benannt. Überrascht das jemanden?

Momentan gehe ich häufig mit meinem kleinen Sohn spazieren. Besonders wenn die Mama arbeitet oder selbst politische Veranstaltungen via Zoom moderiert, schon für den Bundestagswahlkampf plant, oder nach der Nachtschicht schlafen muss. Dabei höre ich öfter Podcasts, zum Beispiel bei Deutschlandfunk Der Tag. Anfang März gab es einen Beitrag mit der Soziologin Jutta Allmendinger, in der eine Studie des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung thematisiert wurde, sehr empfehlenswert und noch länger auch nachhörbar. Ergebnis ist letztlich das, was schon die ganze Zeit auf der Hand liegt: Corona wirkt gesellschaftlich als Ungleichmacher. Besonders Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Wer vorher relativ gesehen weniger hatte, hat jetzt mehr Probleme. Ganz vielfältiger Art. Weniger zu haben, heißt ärmer zu sein, weniger soziale Absicherung über Vermögen, die Arbeit, den Bildungsstand, die vorhandenen Ressourcen wie Wohnraum, Kontakte, Fähigkeiten, usw. Umgedrehter Matthäus-Effekt. Wer vorher schon eher schlecht dran war, leidet unter den sozialen Auswirkungen der Pandemie besonders.

Die sozialen Folgen der Pandemie auf Kinder- und Jugendliche sind vielfältig. Es gibt klare Anzeichen für mehr Depressionen, mehr Zukunftsängste, zunehmende häusliche Gewalt, die Auswirkungen der Geldsorgen der Eltern, durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit. Dazu die viel diskutierten Probleme im Distanzunterricht, dem Homeschooling, digitale Unterrichtsstunden oder Vorlesungen, der Frage nach dem Wert von Abschlüssen in Corona-Zeiten…

Dieses Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Wie könnten wir, trotz aller Probleme, die Corona für die Kommunen gerade finanziell mit sich bringt, trotz aller Probleme auf dem Arbeitsmarkt, trotz aller Fragen nach Impfstoffen oder der Reisefreiheit hier wegschauen? Das geht gar nicht. Wir müssen in München dringend gewappnet sein für die Zeit nach Corona. Wir müssen dringend wissen, wie wir passgenau Hilfen für Kinder und Jugendliche gestalten können. Unserer Stadt muss Vorreiterin sein, in der Bekämpfung der sozialen Folgen der Krise.

Um daran zu arbeiten, habe ich einen Antrag für ein Hearing geschrieben. Zugegeben, nur ein erster Schritt. Man könnte sagen, ein Hearing ist erstmal eine nette Veranstaltung bei der salbungsvoll geredet wird und viele Expert*innen zu Wort kommen. Aber mehr Aufmerksamkeit für diese Frage und mehr Wissen über Art und Umfang des Problems ist dringend notwendig: Wir müssen herausfinden wie gerade in München aufgrund der Pandemie neuer oder veränderter Handlungsbedarf auftaucht. Wir haben ein breites Netz und viele (oft auch freiwillig, d.h. mit zusätzlichen kommunalen Mitteln finanzierte) Angebote der Stadt. Unser München Dank des von den Münchner*innen erwirtschafteten Wohlstands – und dank der sozialdemokratischen Politik der letzten Jahrzehnte – gut da. Gerade wenn man unsere soziale Landschaft mit Berlin oder dem Ruhrgebiet vergleicht. Bei uns geht es nicht gerecht zu, aber die Stadt fängt verdammt viel auf und sorgt für viele zweite oder dritten Chancen. München wird auch besser durch die Krise und ihre Folgen kommen als viele andere Städte und Regionen. Wir haben eine starke und diverse Wirtschaft, die von vielen gut ausgebildeten und fähigen Arbeitskräften und dem Standort profitiert. München wird weiter wachsen, da mache ich mir wenig sorgen.

Aber Corona verändert auf individueller Ebene bei einigen alles – und macht gerade für diejenigen, die sich am wenigsten wehren können und die am wenigsten gewappnet sind, alles schlimmer. Das sehen wir in allen wissenschaftlichen Erhebungen und Prognosen schon jetzt deutlich. Nicht umsonst sprechen Soziolog*innen bewusst von durch Corona abgehängte Kinder und Jugendliche. Es geht um viel mehr als die Schullaufbahn oder ein vermeintlich verlorenes Jahr. Es geht um die sozialen und psychischen Folgen für eine ganze Generation. Es geht bei vielen um die Angst, abgehängt zu werden. Es geht um die Zukunft unserer Stadt.

Wir müssen als Stadtgesellschaft stark sein. Wir müssen versuchen die Folgen abzumildern, gemeinsam gerade die sozialen Konsequenzen der Pandemie nicht durchschlagen lassen. Wir müssen gegen die Angst kämpfen, die sehr viele verspüren. Nur dann werden wir verhindern, dass es auch in unserer Stadt abgehängte Kinder und Jugendliche aufgrund der Pandemie geben wird. Wir brauchen daher als ersten Schritt ein Hearing, in dem Wohlfahrtsverbände, soziale Träger sowie Expert*innen aus den Stadtvierteln und der Münchner Sozialpolitik eingebunden werden. Wir als Stadtrat müssen passgenau aufgezeigt bekommen, was wir nach der Corona in der sozialen Landschaft in München verändern müssen. Wir brauchen als erstes schnell mehr Wissen und mehr Expertise. Ich bin froh, dass der von mir erarbeitete Antrag mit Unterstützung meiner SPD/Volt-Fraktion sowie der Grünen-Rosa Liste gestellt wurde. Ich hoffe, dass Hearing kann erste Schritte liefern um dafür zu sorgen, dass die Zukunft unserer Stadt nicht zurückgelassen wird.

Die Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheit. Kinder und Jugendliche leiden besonders. Mehr Depressionen, Zukunftsängsten, Geldsorgen der Eltern… dazu weniger Sozialkontakte, Homeschooling…Unsere Stadt muss Vorreiterin in der Bekämpfung der sozialen Folgen der Pandemie werden – wir wollen mit Expert*innen, Wohlfahrtsverbänden und Akteur*innen aus den Stadtvierteln und der Zivilgesellschaft diskutieren was die Stadt alles tun muss. Wir lassen die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien nicht im Stich.

Der von mir erarbeitete Antrag

Unserer Pressemitteilung

Zeit-Artikel von Jutta Allmendinger u.a.

Interview des Bildungsministeriums mit Prof. Schneider, Fachärztin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie, zu den Folgen der Pandemie auf Kinder- und Jugendliche und weitere Kontaktmöglichkeiten